Der Hamburger Peter Drauschke spricht über seine folgenschwere Entscheidung, 1963 in den Osten zu gehen
Wie jedes Jahr besuchte der gebürtige Hamburger Peter Drauschke den Bildungsgang Sozialversicherungen, um die aufrührende Geschichte seiner Flucht aus der DDR zu erzählen.
„Sie sind für mich eine Ameise! Sie sind für mich nichts. Sie sind weniger als nichts für mich!“, hallt die Stimme von Peter Drauschke durch den Klassenraum. Die Stimmung ist angespannt. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, als Drauschke anschaulich davon erzählte, wie seine Flucht aus der DDR zurück in den Westen scheiterte und er im DDR-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen 16 Stunden lang unter widrigen Umständen vernommen wurde. Die fast 50 Zuhörer – Schüler und Lehrer des Schulzentrums Grenzstraße – die sich am 30.04.2019 eingefunden hatten, hörten der Erzählung von Peter Drauschke gebannt zu.
Peter Drauschke war 18, als er 1961 – dem Jahr des Mauerbaus – den Entschluss fasste, seiner Heimatsstadt Hamburg und somit Westdeutschland den Rücken zu kehren und in die DDR überzusiedeln. Drauschke war als Jugendlicher politisch engagiert, interessierte sich für gesellschaftliche Themen und haderte aufgrund seines stark ausgeprägten Gerechtigkeitssinns mit den kapitalistischen, ungerechten Entwicklungen seiner Zeit. Im Kommunismus fand er einen Anker für seine Zukunft. „Meine Freundinnen habe ich mir damals nicht nach dem Aussehen, sondern nach ihrer politischen Einstellung ausgesucht. Sie sollten kommunistisch sein und mir zustimmen“, erzählte Drauschke.
Nicht nur er, auch sein Freund Erwin war fasziniert von der Idee, in einem Staat zu leben, in dem es „gerechter“ zugeht. Dieser war für die beiden die DDR. Durchtränkt mit politischer Ideologie und der Hoffnung auf ein besseres Leben beschlossen sie überzusiedeln. Doch ihr erster Übersiedlungsversuch 1963 mit dem Zug scheiterte: Kurz vor der Grenze wurden sie von Zivilbeamten eingesammelt und zu ihren Eltern zurück gebracht. Einer der Beamten, selbst DDR-Flüchtling, der bei der Flucht einen Arm verlor, gab den beiden einen gut gemeinten Rat: „Glaubt mir, selbst wenn ihr es in den Osten schafft, werdet ihr wieder zurückkommen wollen.“ Doch die beiden Jugendlichen glaubten ihm nicht.
Wenige Wochen später gelang die Übersiedlung per Flugzeug. Peter Drauschke machte Karriere in Rostock, wurde FDJ-Sekretär im dortigen Warenhaus und später Bezirksleiter für Agitation und Propaganda. Er lebte den Kommunismus voller Überzeugung. Doch mit seinem Leben in der DDR bröckelte diese Überzeugung. Nicht zuletzt der Satz: „Das Kriterium der Wahrheit ist die Praxis.“, aus dem Buch „Das Kapital“ von Karl Marx, gab ihm zu denken. „Man kann so viel umsetzen wollen und es klingt alles so schön, aber die Realität in der DDR sah für mich anders aus.“, so Drauschke. Die Lebensbedingungen in seiner Wahlheimat waren schlecht, das Lebensmittelangebot eingeschränkt. In der Presse wurde von einer DDR erzählt, die es in der Realität für die Bevölkerung nicht gab. Peter Drauschkes Überzeugung vom Kommunismus wandte sich in eine Antihaltung.
So beschlossen Drauschke, seine Freundin Beate und Erwin 1968, wieder aus der DDR zu flüchten. Drauschkes Schwester und ihr Ehemann unterstützten sie von Hamburg aus. Aus Angst, abgehört zu werden, trafen sie sich heimlich an einem abgelegenen Waldstück, um gemeinsam einen Fluchtplan zu schmieden. Doch die Flucht war gefährlich: Sie brauchten gefälschte Pässe und typische Kleidung aus Westdeutschland, um ohne Aufsehen zu erregen, über Bulgarien einreisen zu können. Bis zum Flughafen in Sofia verlief die Flucht reibungslos. Als Polizisten ihre Dokumente prüften, flogen sie auf: Ihnen fehlte die „Karta Statistika“, ein Dokument, das Westdeutsche bei der Ausreise vorlegen mussten.
Sie wurden inhaftiert und schließlich zurück in die DDR, in das Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen, gebracht. Das 16-Stunden-lange Verhör auf einem Stuhl ohne Lehne und die anschließende Zeit als Gefängnisinsasse prägte Peter Drauschkes Leben maßgeblich. Er beschreibt diese Zeit so authentisch, dass seine Zuhörer sich das kräftezehrende Verhör, die kargen Zellen und die menschenunwürdigen Bedingungen bildhaft vorstellen können. Später wurden die Flüchtigen ins Gefängnis nach Rostock gebracht. Auch hier gab es harte Regeln: „Sogar das Schlafen war schrecklich. Die Hände mussten gefaltet auf der Decke liegen, wenn ich mich auf die Seite drehte, wurde ich geweckt und musste mich wieder gerade auf den Rücken legen.“ Peter Drauschke sollte wegen Spionage und Sammlung von Nachrichten verurteilt werden.
Eine politische Amnestie war letztlich seine Rettung. Er wurde aus dem Gefängnis entlassen und konnte 1973 als 28-Jähriger – 10 Jahre, nachdem seine Reise in die DDR begann – zu seiner Familie nach Hamburg zurückkehren. Als Mann, der dem Kommunismus den Rücken zugekehrt hat: „Ich war damals verseucht von der politischen Ideologie“, weiß er heute. Als DDR-Zeitzeuge erzählt er seine Geschichte an Schulen und bei Ausstellungen, damit die Grausamkeit der DDR-Politik ,die aufgrund einer falsche Entscheidung sein ganzes Leben bestimmen sollte, nicht in Vergessenheit gerät.
Annika Braue, Caroline Graf, Jan-Uwe Stach, Katharina Stüwe, SV 17-2